Apotheker sind keine «akademische Schubladenzieher»

Philipp Venetz ist Apotheker und Geschäftsführer der neuen Loë Apotheke. Im Interview erzählt er von Apothekern-Klischees, der vielseitigen Ausbildung zum Apotheker und wie es ist, als Walliser nach Graubünden zu ziehen.

Kein akademischer Schubladenzieher – kann aber mit Schubladen umgehen: Philipp Venetz.

Herr Venetz, warum hat das Kantonsspital Graubünden eine Apotheke?
Die Idee einer Apotheke am Kantonsspital Graubünden besteht schon länger, da es ein Bedürfnis der Patientinnen und Patienten war und ist, die Möglichkeit zu haben, nach dem Austritt aus dem Spital die Medikamente unkompliziert vor Ort beziehen zu können, entsprechend angepasst ist auch unser Sortiment. Patienten erhalten beim Austritt ja ihre Rezepte und können diese dann natürlich in jeder Apotheke einlösen. Wir sind eine öffentliche Apotheke, die allen, also beispielsweise Laufkundschaft, den Bewohnern des Loëquartiers, sowie den Patienten und Besuchern des KSGR zur Verfügung steht.

Was macht ein Apotheker mehr, als Medikamente zu verkaufen?
Bezeichnungen wie «akademischer Schubladenzieher» hört man immer mal wieder. Das stimmt bei uns schon mal überhaupt nicht, da die «Schubladen» bei uns vollautomatisch von einem Roboter bedient werden (lacht). Nein ernsthaft: Vielen ist nicht bewusst, dass ein Apotheker ebenfalls haftet, wenn er nicht abklärt, ob ein Patient ein verschriebenes Medikament auch wirklich verträgt. Stellt sich zum Beispiel heraus, dass ein Patient ein Medikament verschrieben bekommen hat, auf das er allergisch reagiert und dies von Arzt und Apotheker nicht im Vorfeld sauber abgeklärt wurde, können beide gleichermassen haftbar gemacht werden. Auch deswegen stellen wir in der Apotheke immer wieder viele Fragen, wenn jemand mit einem Rezept kommt.

Die Medikamente werden vom Roboter eingeräumt und nach Bedarf geholt

Das stelle ich mir herausfordernd vor. Ich meine, der verschreibende Arzt hat den Patienten untersucht und kennt ihn vielleicht schon länger. Sie müssen anhand eines Rezepts und eines kurzen Gesprächs herausfinden, ob er das verschriebene Medikament verträgt oder nicht. Wie ist das für Sie?
Natürlich, die Patienten sind in der Regel nur kurz bei uns. Die Diagnose haben wir ja nicht unbedingt, sondern lediglich die Medikationsliste. Daraus kann man dann ableiten, was die Diagnosen sein könnten. Dafür müssen wir aber zusätzlich Rückfragen stellen. Das wird sich vermutlich verbessern, wenn das elektronische Patientendossier etabliert ist. Dann können wir, sofern der Patient sein Einverständnis gegeben hat, auch in der Apotheke genau sehen, welche Diagnose gestellt wurde. Das wird unsere Arbeit erleichtern. Es gibt aber natürlich auch Stammkunden, die man mit der Zeit sehr gut kennt.

Sie haben erklärt, warum Sie in der Apotheke viele Rückfragen stellen müssen. Ist das ein Thema, das für Diskussionen sorgt zwischen Apotheker und Patienten?
Das ist sehr unterschiedlich. Natürlich gibt es Kunden, die sich ärgern, dass sie dem Apotheker nochmals alles erzählen müssen, was die Ärztin bereits erfragt hat. Andere wiederum schätzen es sehr. Ab und an muss ich, in Absprache mit dem Kunden, auch nochmals kurz mit der Ärztin telefonieren. Beispielsweise, wenn mir die Dosierung der Medikamente ungewöhnlich erscheint.

Wie wird man Apotheker?
Mich hat die Kombination aus Medizin und Naturwissenschaften fasziniert. Die Vielseitigkeit im Beruf ist immer noch sehr spannend. Das geht vom Wunsch eines Kunden, eine Pflanzenprobe bestimmen zu lassen, über die Rezeptausführungen hin zu den Beratungen. Was dazukommt, sind neue Apothekendienstleistungen, wie das Impfen.

Die neue Loë Apotheke

Sie können anhand einer kleinen Probe eine Pflanze bestimmen?
Ich habe die Ausbildung dafür. Es kommt eher selten vor. Grundsätzlich kann ich das, der Aufwand ist oft relativ gross, so dass sich diese Dienstleistung nicht unbedingt rechnet.

Apropos Vielseitigkeit. Was kann man alles werden, wenn man Pharmazie studiert hat? Gibt es da mehr, als den Apothekerjob?
Grundsätzlich gibt es nach dem Studium vier mögliche Richtungen. Offizinapotheker in einer öffentlichen Apotheke, Spitalapotheke, Behörden und Industrie, wobei der letzte Bereich der grösste ist. Für die Industrie wird meistens zuerst ein PhD an der Uni gemacht. Anschliessend sind Apotheker von Forschung und Entwicklung, über Produktion, Zulassung und Qualitätssicherung bis zur Betreuung von Produkten überall anzutreffen.

Wenn ich an den Apotheker denke, habe ich auch immer das Bild des alchimistisch angehauchten Arbeitszimmers vor Augen, in dem der Apotheker Pülverchen und Wässerchen zusammenrührt, vermengt und emulgiert. Ist das romantische Verklärung oder findet das noch statt?
(Lacht) Ja, die Herstellung von Salben, Gels, sterilen Augentropfen und Kapseln, beispielsweise für Kinder-Dosierungen, lernt man im Studium. Es wird aber immer weniger. Auch, weil es immer weniger Verschreibungen für solche Produkte gibt. Das Problem ist auch, dass man solche Sachen kaum noch kostendeckend herstellen kann. Da muss man sich als Apotheke schon spezialisieren und die entsprechenden Produkte in grosser Menge herstellen, um dann auch andere Apotheken damit beliefern zu können.

Sie sind Walliser. Wie fühlt es sich an, vom zweitschönsten in den schönsten Bergkanton der Schweiz zu wechseln?
Über die Platzierung der beiden Kantone kann man sich streiten (lacht). Es waren viele Faktoren, die mich nach Graubünden gezogen haben. Wie so oft spielt die Liebe eine grosse Rolle. Meine Partnerin arbeitet als Assistenzärztin am KSGR und so habe ich mich nach einem Job in Graubünden umgesehen. Zudem konnte ich in Bern bereits Erfahrungen darin sammeln, eine neue Apotheke aufzubauen. Das hat mir viel Spass gemacht und da hat es sich angeboten, mein Wissen und meine Freude für den Aufbau der Loë Apotheke einzusetzen. Das Thema Bergkanton war natürlich auch wichtig.

Eben – endlich in den schönsten.
(Lacht) Ja, ihr habt es auch sehr schön hier. Es gefällt mir in Graubünden und wir verbringen viel Zeit in den Bündner Bergen (lacht). Zusätzlich hat mich dann aber auch das Konzept hier mit der öffentlichen Apotheke im Spital sehr gereizt. Die Spitallandschaft verändert sich vom Krankenhaus zum Gesundheitsbau. Der Neubau des KSGR zeigt das auch. Der Eingang liegt in Richtung Stadt und nicht mehr an der «Rückseite». Das KSGR ist sehr fortschrittlich. Es ist ein modernes und fortschrittliches Gesundheitszentrum und liegt in einem der beiden schönsten Bergkantone. Was will man mehr?

Aus dem Block des Kantonsspital Graubünden: https://blog.ksgr.ch/philipp-venetz.aspx